Tag 2:  Nach dem Frühstück auf dem
Watzmannhaus steige ich pünktlich um 07.00 Uhr zum
Hocheck auf. Alle meine bisherigen Versuche zwischen 1995
und 2000 die so genannte Watzmannüberschreitung im Spätherbst
bzw. im Winter durchzuführen waren letztlich gescheitert.
Heute scheint bereits morgens die Sonne und der Tag ist
vielversprechend. Vier Stunden später erreiche ich die
Mittelspitze auf 2713m Meereshöhe. Der Himmel ist
wolkenlos und für sommerliche Verhältnisse herrscht
eine ausgezeichnete Fernsicht. Weiter geht es zur Südspitze,
diese erreiche ich um 13.00 Uhr. Bereits unterwegs treffe
ich den Heribert, der mir zwecks Videografie seine Kamera
anvertraut. Oben auf dem Grat ist es so herrlich schön,
dass es niemand eilig hat. Ich sitze bereit 30min
unterhalb der Südspitze auf einem ebenen Felsblock und
genieße die Aussicht hinunter nach St. Bartholomäe und
den Blick auf den oberen Wandteil der Ostwand. Vor mir
erreichten ca. 10 andere Bergsteiger die Südspitze. Der
Königssee schimmert blau herauf und die Sonne erwärmt
den 2712 Meter hohen Gipfel auf angenehme Temperaturen.
Es nutzt nichts, gegen 14.00 Uhr breche ich zusammen mit
fünf weiteren Bergsteigern zum Abstieg durch das Schönfeldschneid
hinunter ins Wimbachgries auf. Der Steig ist nicht ganz
ohne - schnell erkenne ich, dass es nicht unbedingt zum
Nachteil war, dass meine letzte Wintertour bereits an der
Mittelspitze ihr Ende fand. Der Schönfeldschneid ist
steinschlaggefährdet, es geht steil bergab und bisweilen
ist der Einsatz meiner Hände gefragt. Von der Südspitze
bis zur Wimbachgrieshütte sich wir sechs Bergsteiger über
vier Stunden unterwegs. Unter anderem wegen der
Steinschlaggefahr wollen wir uns nicht trennen, und so müssen
wir an schwierigen Stellen immer auf einander warten. Wo
nicht geklettert werden muss geht es durch Geröll- und Schuttfelder, der Höhenunterschied
von über 1300 Höhenmetern bis zur Hütte hinterlässt
seine Spuren, zudem gehen uns in der Sechsergruppe die
Getränke aus. Erst kurz vor dem Erreichen des Gries
tritt eine Quelle aus der Felswand, welche köstlich
frisches Trinkwasser liefert. Wer diesen Steig von unten
gehen möchte, benötigt Trittsicherheit, alpine
Erfahrung, gute Kondition und einen nicht zu knapp
bemessenen Getränkevorrat. Gegen 19.00 Uhr erreicht
meine neue Tourengruppe die Wimbachgrieshütte und die Maß
läuft jetzt von selbst.
Mit vielen Pausen hatte ich einen wunderschönen Tag mit
weiteren Bergsteigern auf dem Watzmann verbracht. 12
Stunden haben wir im Durchschnitt zwischen Watzmannhaus
und Wimbachgrieshütte benötigt. Sollte das Wetter
einmal schnell umschlagen oder schlecht sein, kann ich
mir nicht vorstellen, dass ich diese Strecke unter neun
Stunden Gehzeit bewältigen könnte.
Also, wer vom schlechten Wetter auf der Überschreitung
erwischt wird, hat ernsthaft ein Problem. Ein Notabstieg
vom Grat nach recht oder links ist nicht möglich,
allerdings steht am Hocheck eine Nothütte ohne richtige
Fensterläden und Tür. Eine Klettersteigausrüstung ist
aus meiner Sicht nicht notwendig, wem diese Sicherheit
vermittelt, na ja, der soll sie nutzen. Keine
Fehlinvestition bei der gesamten Überschreitung und dem
Abstieg hinunter durch das Schönfeldschneid wäre der
Helm - der gehört rein ins Gepäck!
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